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18.12.2023

Kein Stillstand trotz Haushaltssperre? - Das ist eine Frage der Perspektive!

Die innovationsorientierte Forschung Deutschlands legt erneut eine Pause ein.

Doch! Man kann durchaus sagen, dass sich zumindest die Welt der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) im Stillstand befindet.

Und dabei spreche ich hier nicht von den Auswirkungen des von Jahr zu Jahr schlechter ausgestatteten IGF-Förderbudgets, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für innovationsorientierte vorwettbewerbliche Vorlaufforschung für die gesamte Industriebreite Deutschlands zur Verfügung gestellt wird, so dass jedes Jahr weniger Forschungsprojekte starten können. Ich spreche auch nicht von dem vom BMWK ohne Not herbeigezwungenen Projektträgerwechsel nach fast 70 Jahren effizienter, Service- und Output-orientierter Verwaltung des dienstältesten deutschen Förderprogramms durch die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF), so dass zwei Wochen vor dem Projektträgerwechsel zum DLR-PT noch zahlreiche der künftigen Verfahrensabläufe unzureichend geklärt sind.

Ich spreche von der Haushaltssperre seit Mitte November 2023 und von der verschobenen Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2024. Ich spreche vom Ausfallen als 'sicher' geltender Projektstarts und von dem bereits anderthalbjährigen Warten auf Lösung eines durch Neuauslegung vom BMWK selbstgeschaffenen Problems mit dem grundsätzlich sinnvollen Besserstellungsverbot. Beide "Herausforderungen" verzögern die Durchführung Innovations-relevanter Forschung und den Transfer der Ergebnisse in die Wirtschaft. Das können wir uns leisten? Doch eines nach dem anderen ...
 

Die Haushaltssperre und ihre Konsequenzen für die Industrielle Gemeinschaftsforschung

Die Haushaltssperre bewirkt, dass nicht einmal das ohnehin häufig immer knapper bemessene Budget von Förderprogrammen, wie das der IGF, nicht voll ausgeschöpft werden kann. Da der aktuelle Haushaltsentwurf für die IGF bereits eine weitere Budget-Kürzung von 6,5 % vorsieht, werden im kommenden Jahr ca. 6-7 % weniger Innovationsprojekte starten können als in 2023 beziehungsweise 45 % weniger als beispielsweise in 2017.
 

Die verzögerte Verabschiedung des Bundeshaushalts und ihre Konsequenzen für die Industrielle Gemeinschaftsforschung

Das für jedes Haushaltsjahr zu verfassende Haushaltsgesetz des Bundes regelt, dass Zuwendungsempfänger (z. B. wissenschaftliche Einrichtungen), deren Gesamtausgaben überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand, und zwar des Bundes, bestritten werden, ihre Beschäftigten nicht besserstellen dürfen als vergleichbare Beschäftigte des Bundes (sog. "Besserstellungsverbot"). Diese Regelung wurde zum Jahreswechsel 2021/22 neu ausgelegt und verschärft: Das Besserstellungsverbot gilt seither auch, wenn die Beschäftigten nicht aus der Zuwendung finanziert werden, also auch für Geschäftsführer oder Institutsleiter. Neuer Maßstab ist eine Vergütung gemäß des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD). Ausgenommen sind hiervon Beschäftigte von Hochschulen sowie von den Forschungseinrichtungen der großen außeruniversitären Forschungsgemeinschaften (Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft, etc.), die durch das Wissenschaftsfreiheitsgesetz von der Befolgung des Besserstellungsverbot entbunden wurden. Aufgrund der resultierenden Wettbewerbsverzerrung um die klügsten Köpfe und die besten Wissenschaftsmanager und Aussetzung der Förderung bewilligter Forschungsprojekte liegen seit anderthalb Jahren Ausnahmeanträge von mehr als 80 eigenständigen Industrieforschungseinrichtungen größtenteils unbeantwortet beim Bundesministerium der Finanzen (BMF). Im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags am 18. Oktober 2023 wurde zwar vereinbart, die Ungleichbehandlung aufzuheben, um das gesamte Potenzial der deutschen Innovationsschöpfung wieder nutzen zu können. Eine umgehende Lösung, wie sie bei SPRIND, der Bundesagentur für Sprunginnovationen, durch kurzfristige Verabschiedung eines SPRIND-Freiheitsgesetzes im November 2023 möglich war, lehnte der Bundesausschuss für die Industrieprojektforschung über Programme wie die IGF oder das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) jedoch ab. Stattdessen wurde eine Lösung an das anzupassende Haushaltsgesetz in Aussicht gestellt, jenes Gesetzes, dessen Verabschiedung nun in das kommende Jahr verschoben wurde. Und so vergehen weiterhin Monate, die bewilligte Forschungsprojekte auf ihren Projektstart warten müssen.

In beiden Fällen wird Innovationsschöpfung aus bürokratischen Gründen ausgebremst und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ohne eigene Forschungsabteilungen erfahren einen Forschungsstillstand.

Für Forschungsvereinigungen der Industriellen Gemeinschaftsforschung, also die verantwortlichen Betreiber der IGF-Projekte, bedeutet die Haushaltssperre, dass für Dezember fest einkalkulierte Projektbewilligungen in 2023 nicht mehr kommen, und die Verschiebung der Haushaltsverabschiedung, dass bewilligte Projekte eigenständiger Industrieforschungsinstitute nicht starten können. Da die Forschungsvereinigungen per Richtlinienanforderung gemeinnützig sind und sich in der Regel nur durch Spenden und über freiwillige Mitgliedschaften finanzieren, für die Zusagen meistens in Zusammenhang mit Projektstarts eintreffen, bedeuten die aktuellen Verhältnisse des Bundeshaushalts somit eine unerwartete signifikante Reduktion der eingeplanten Haushaltseinnahmen.

Von den sieben 'sicheren' IGF-Projektstarts der Forschungsvereinigung Feinmechanik, Optik und Medizintechnik e. V. (F.O.M.) in 2023 blieben aufgrund der Entscheidungen zum Bundeshaushalt 2023 und 2024 in November und Dezember dieses Jahres lediglich fünf reell gestartete Projekte, mit 59 anstatt 85 Unternehmen in projektbegleitenden Ausschüssen, mit 2,2 Mio. Euro öffentlicher Förderung für die KMU-nahe Innovationsforschung in den F.O.M.-begleiteten Branchen anstelle von 3,2 Mio. Euro.

Ich nenne das Stillstand.

 

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Ein Kommentar von M. Safaricz