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09.04.2018

EFI empfiehlt verstärkt in Forschung und Innovation zu investieren

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hat der Bundesregierung am 28. Februar 2018 das diesjährige Gutachten zu Forschung, Innovation und Technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vorgelegt, in dem Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im zeitlichen Zusammenhang analysiert und im internationalen Vergleich bewertet werden. Die Expertenkommission diskutiert hierzu aktuelle Themen der F&I-Politik, erstellt Schwerpunktanalysen zu Kernthemen, zeigt Perspektiven auf und gibt Handlungsempfehlungen. Die Expertenkommission empfiehlt, verstärkt in Wissenschaft, Forschung und Innovation zu investieren, um auch künftig Deutschlands Rolle als eine führende Wirtschaftsnation zu sichern. EFI weist auf die Notwendigkeit hin, schnell und entschlossen zu handeln.

Die Expertenkommission empfiehlt für die neue Legislaturperiode als F&I-politischen Leitlinien (1) den mittelfristigen Ausbau der F&I-Aufwendungen auf 3,5 % des BIP, (2) eine höhere Priorität für Digitalisierung und digitale Bildung und (3) die Einführung der steuerlichen Forschungsförderung. Über diese Leitlinien hinaus gibt EFI Handlungsempfehlungen zu weiteren Themen: So muss sich z. B. staatliche F&I-Politik über die Unterstützung der Grundlagenforschung hinaus darauf konzentrieren können, die Felder der großen gesellschaftlichen Herausforderungen technologieoffen zu fördern. Eine bessere Grundfinanzierung für Fachhochschulen oder Hochschulen für angewandte Wissenschaften soll die Erfüllung ihrer Aufgaben in der angewandten Forschung und im Bereich des Technologietransfers sicherstellen. Zur Sicherung eines langfristigen Produktionswachstums soll die Grundlagenforschung als wichtige Quelle radikaler Innovationen verstärkt gefördert werden. Der Bundesregierung wird empfohlen, das regulatorische Umfeld von Innovationsaktivitäten Diffusions-förderlicher zu gestalten. Die Strukturen der europäischen Förderpolitik sollen vereinfacht werden, wobei die Einrichtung einer europäischen Agentur zur Förderung radikaler Innovationen außerhalb der EU-Strukturen befürwortet wird. Zwischen Großbritannien und der EU soll sich durch den Brexit möglichst wenig ändern: bewährte Kooperationen im Rahmenprogramm sollen fortgeführt werden, die Mobilität der Forscherinnen und Forscher soll aufrechterhalten sowie ein ungehinderter Wissensaustausch ermöglicht werden. Die Expertenkommission fordert die Entwicklung einer nationalen Strategie für Künstliche Intelligenz, die in eine europäische Struktur eingebettet werden soll, um ein wissenschaftliches und ökonomisches Gegengewicht zu Forschungsaktivitäten in den USA und in China aufzubauen. Der von der Europäischen Kommission angestoßene Prozess zur Implementierung eines Daten-Binnenmarktes soll von der Bundesregierung aktiv begleitet werden.

UNSER KOMMENTAR

Die F.O.M. und SPECTARIS, der mit ihr kooperierende Deutsche Industrieverband für optische, medizinische und mechatronische Technologien, begrüßen die kritische Analyse des deutschen Innovationssystems der EFI-Gutachter. Zweifelsohne, die Verfolgung der genannten Leitlinien stärkt die F&E&I-Kraft unserer Wirtschaft. Die Themen sind allerdings nicht neu und so überrascht, dass man nach mittlerweile konkretisierten Konzeptvorschlägen umsonst sucht.

Zum Beispiel fehlen Ansätze zur Umsetzung der bereits seit vielen Jahren von EFI geforderten Steuerlichen Forschungsförderung. Wie lassen sich die Ziele "Einfacher, schneller und unbürokratischer Zugang zur Forschungsunterstützung", "Planungssicherheit durch eine Fördergarantie schon bei Forschungsaktivitäten" und "Prüfbarkeit der tatsächlichen Aufwendung der angegebenen F&E&I-Kosten für Forschungszwecke" vereinbaren? Wie lässt sich es vereinbaren, dass Unternehmen bei der Steuerlichen Forschungsförderung auch inkrementelle Weiterentwicklungen abrechnen lassen können, der Staat aber insbesondere an der Entwicklung von disruptiven Sprunginnovationen interessiert ist, um die Grundlage für zukünftige Marktpotentiale für Zulieferer wie für Endnutzer zu entfalten und Deutschland den Technologievorsprung zu sichern?

Ebensowenig sind im Gutachten Handlungsempfehlungen zur dringlich benötigten Aufstockung der beiden Technologietransfer-Vorzeigeprogramme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) und der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) zu finden.

Liest man das EFI-Gutachten, kann man den Eindruck bekommen, der Fachkräftemangel existiere nur im IT-Bereich. Ebenso erweckt das Gutachten den Eindruck, das Thema Nachwuchsförderung sei ausreichend adressiert, wenn die Förderung der Ingenieurausbildung an Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften ausgebaut würde. Diese Fokussierungen sind nicht hilfreich, denn sie tragen zu einer sehr einseitigen Verbesserung der Situation bei und 'erlauben' beinahe die Vernachlässigung benötigter Fördermittelaufwüchse in anderen Bereichen beziehungsweise von anderen Institutionen oder Programmen. Das IGF-Programm ist zum Beispiel in dem gesamten Gutachten nicht ein einziges Mal erwähnt, obwohl IGF-Projekte nicht nur nach einer am 09.04.2018 veröffentlichten Studie des Instituts für Innovation und Technik (iit) als effektiver Trendsetter und Trendbeschleuniger fungieren, sondern nachweislich erheblich zur Ausbildung des Nachwuchses beitragen und über die gesamte Branchenbreite der deutschen Industrie Fachkräfte liefern, die häufig nach Projekten direkt in die Industrie wechseln.

Unverständlich ist aus Industriesicht die EFI-Empfehlung, einen Daten-Binnenmarkt aktiv zu begleiten, ohne gleichzeitig Konzeptvorschläge für die Vermeidung von Externalitäten zu liefern. Die von der Europäischen Kommission bereits vorgelegte Roadmap zur Einführung der European Open Science Cloud mit geplanten ersten Maßnahmen in 2018 weckt Skepsis, ob die Förderinstrumente von Horizon 2020 für die Industrie und zur Stärkung der deutschen Innovationskraft noch nutzbar sein werden.

Auch aus der speziellen Sicht unserer Branchen ist das EFI-Gutachten 2018 eine Enttäuschung. Waren doch die Optischen Technologien bis vor kurzem als bedeutende Schlüsseltechnologie und Innovationstreiber im angemessenen Fokus von Förderinstrumenten, verlagert sich gegenwärtig der Förderschwerpunkt signifikant auf den kleinen Teilbereich der Quantentechnologie. Die staatliche Unterstützung der Innovationsaktivitäten der Industrie darf sich jedoch nicht ausschließlich auf neue Themen stürzen, die politisch sexy sind. Die Expertenkommission sagt dazu nichts. Ebenso galt der Bereich Gesundes Leben/Medizintechnik noch bis vor kurzem als "Prioritäre Zukunftsaufgabe der Bundesregierung". Doch wieso wird die Industrie, insbesondere die sich in diesen Branchen betätigenden kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) dann nach der Entwicklung von Demonstratoren und Prototypen alleine gelassen, wenn es um die Beantwortung von zulassungsrelevanten Fragen geht. Die Finanzierung notwendiger klinischer Studien ist einer der größten Innovationshemmnisse für KMU in Deutschland. Doch auch hierzu äußert sich die Expertenkommission nicht.

M. S., 09.04.2018

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ZUSAMMENFASSUNG DES EFI-GUTACHTENS 2018

AKTUELLE ENTWICKLUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Zentrale Leitlinien für die F&I-Politik in der neuen Legislaturperiode

  • Bis zum Jahr 2025 ist der für FuE aufzuwendende Prozentsatz des Bruttoinlandprodukts auf 3,5 % auszubauen.
  • Der Digitalisierung ist eine höhere Priorität einzuräumen, die Rahmenbedingungen für Internet und internetbasierte Technologien sind deutlich zu verbessern, die digitale Infrastruktur E-Government sind auszubauen und die digitale Bildung in der Breite zu fördern.
  • Die steuerliche FuE-Förderung soll eingeführt werden. Dadurch würden Innovationsanreize für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) geschaffen und Wachstumsmöglichkeiten für Start-ups verbessert werden. EFI empfiehlt eine Steuergutschrift auf FuE-Personalaufwendungen, die mit der Lohnsteuer verrechnet wird.

Nachhaltigkeit und Innovationspolitik

  • EFI weist darauf hin, dass die Innovationsentwicklungen unterschiedlicher Nachhaltigkeitsziele miteinander in Konflikt stehen können, und warnt davor, die F&I-Politik mit den Problemen einer systematischen Nachhaltigkeitsbewertung zu überfordern. Entsprechend muss sich staatliche F&I-Politik auch künftig darauf konzentrieren können, F&I-Aktivitäten auf den Feldern der großen gesellschaftlichen Herausforderungen technologieoffen zu fördern.

Fachhochschulen im Wandel

  • Fachhochschulen/Hochschulen für angewandte Wissenschaften (FH/HAW) nehmen eine sehr wichtige Rolle im deutschen Innovationssystems ein, z. B. im Bereich der angewandten Forschung und des Technologietransfers. Zur Sicherstellung ihrer Aufgaben wird eine bessere Grundfinanzierung benötigt.
  • Kooperative Promotionen zwischen Universitäten und FH/HAW sollen gestärkt werden.

Digitale Bildung

  • Digitale Schlüsselkompetenzen, z. B. Fähigkeiten in der Software- und Algorithmenentwicklung, sind wichtige Voraussetzungen für Produktivitätswachstum und Innovation in etablierten und neuen Branchen geworden. Sie sollten bereits in Grundschulen flächendeckend unterrichtet werden. Schulen benötigen eine exzellente IT-Ausstattung und IT-kompetente Lehrende.
  • IT-Kenntnisse sollten fester Bestandteil jeder Berufsausbildung werden.
  • Auch Hochschulen sollten über alle Disziplinen hinweg Programmierkenntnisse, Kenntnisse der Software- und Webentwicklung, Datenwissenschaften und Methoden des maschinellen Lernens vermitteln.

KERNTHEMEN 2018

Langfristige Entwicklungen von Produktivität und Innovation

  • Die gesamtwirtschaftliche Produktivität verlangsamt sich seit über 20 Jahren international und auch in Deutschland. Dies wird oft entweder auf eine flächendeckende Erschöpfung technologischer Potenziale und innovativer Ideen zurückgeführt oder auf Verzögerungen im Diffusionsprozess der Digitalisierung. Zusammenhänge werden ebenso zu dem im selben Zeitraum abnehmenden Anteil der Innovatoren unter den Unternehmen gesehen. Unklar ist, ob eine Verlangsamung der Innovationsaktivitäten – eines wichtiges Produktivitätstreibers – stattfindet oder eine Konzentration derselben auf immer weniger Akteure, die in stärker konzentrierten Märkten auf immer höhere Markteintrittsbarrieren treffen.
  • Die Expertenkommission empfiehlt zur Sicherung eines langfristigen Produktionswachstums die verstärkte Förderung der Grundlagenforschung als wichtige Quelle radikaler Innovationen.
  • Die Bundesregierung sollte mit einer Diffusions-förderlichen Gestaltung des regulatorischen Umfelds ihren wichtigen Einfluss nutzen.
  • Notwendig sei ebenso die Umsetzung einer flächendeckenden digitalen Transformation.

Herausforderungen der europäischen F&I-Politik

  • Die ambitioniert formulierten Ziele der F&I-Politik der EU wurden verfehlt. Ursachen liegen in einer zu komplexen Struktur der europäischen F&I-Politik und in fragmentierten Zuständigkeiten. EFI empfiehlt der Konsolidierung und Vereinfachung der Strukturen gegenüber der Einrichtung neuer Institutionen (wie einem European Innovation Council) und der Entwicklung zusätzlicher Förderinstrumente Vorrang einzuräumen.
  • Die primäre Orientierung von Horizon 2020 auf die Förderung exzellenter Forschung soll beibehalten werden.
  • Die in den Europäischen Struktur- und Investmentfonds vorgesehenen Mittel zur F&I-Förderung sollen von den nationalen Regierungen zielgerechter und effektiver eingesetzt werden als bisher, was durch Schaffung einer neuen Governance-Struktur sichergestellt werden soll.
  • Die Expertenkommission befürwortet die Einrichtung einer Agentur zur Förderung radikaler Innovationen, jedoch außerhalb der EU-Strukturen.
  • Aufgrund der Bedeutung Großbritanniens als eines der leistungsfähigsten F&I-Systeme Europas wird dringend zu einer möglichst engen Anbindung des Landes an die europäischen Strukturen mit möglichst wenigen Änderungen des Status quo geraten. Ideal wäre eine Orientierung am norwegischen Modell mit Fortführung bewährter Kooperationen im Rahmenprogramm, Mobilität von Forscherinnen und Forschern zwischen britischen Forschungseinrichtungen und denen der EU sowie ungehindertem Wissensaustausch.

Autonome Systeme

  • Die Expertenkommission fordert die Entwicklung einer nationalen Strategie für Künstliche Intelligenz, die in eine europäische Strategie eingebettet werden soll, um im Verbund europäischer Akteure ein wissenschaftliches und ökonomisches Gegengewicht zu Forschungsaktivitäten in den USA und in China aufbauen zu können.
  • Die Entwicklung von KI-Leuchtturm-Technologien sollen durch geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung flankiert werden, um gesellschaftliche Implikationen frühzeitig aufzugreifen, Regulierungsbedarf zu erkennen und den gesellschaftlichen Diskurs zu begleiten. EFI plädiert für die Einrichtung einer Enquete-Kommission "Autonome Systeme und Künstliche Intelligenz" des Bundestags.
  • Der von der Europäischen Kommission angestoßene Prozess der Implementierung eines Daten-Binnenmarktes soll von der Bundesregierung aktiv begleitet und unterstützt werden.
  • Die Expertenkommission rät zur Einbeziehung aller Anwendungsfelder autonomer Systeme in die Förderung anstelle einer Beschränkung auf aktuelle Stärken der deutschen Wirtschaft.

Die Expertenkommission äußert ihre Besorgnis, dass die von ihr identifizierten Herausforderungen aufgrund der verzögert erfolgten Regierungsbildung und der zu Jahresanfang mangelhaften Agilität der Politik zunächst nicht entschlossen und zügig genug angegangen worden ist und so Möglichkeiten zur Nutzung der aktuellen Stärke der deutschen Volkswirtschaft zur strukturellen Weiterentwicklung des F&I-Systems und für dringende Investitionen in die Zukunft nicht effizient genug wahrgenommen wurden.

EFI-Gutachten

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